Irgendwo in Iowa…

Unser großes Abenteuer

Neues aus der Arbeitswelt I – Was macht eigentlich ein “scribe”?

| 6 Comments

Wie die meisten von euch längst wissen, habe ich ja schon im Oktober 2016 meinen Job bei Siegwerk USA gekündigt, habe dann ein paar Monate bei Allegiant Air am Flughafen Des Moines gearbeitet und war seit März letzten Jahres arbeitslos. Nachdem unser Schipfel uns im April 2017 verlassen hat, wurden meine Dienste als “24/7 full-time cat nurse” auch nicht mehr gebraucht, und nach ein paar weiteren Monaten des Nichtstuns und Wartens auf meine neue Arbeitserlaubnis habe ich mich dann im Juli 2017 wieder auf Arbeitssuche begeben.

Mein großer Traum war es ja, einmal in einer Tierarztpraxis zu arbeiten, und so habe ich mich auf diverse Jobs als “veterinary assistant” oder auch “veterinary receptionist” beworben – aber, um das Ergebnis gleich vorwegzunehmen, meine Bemühungen in dieser Richtung waren leider nicht von Erfolg gekrönt. Ich hatte zwar immerhin zwei Interviews, aber die eine Praxis hat sich dann, nachdem es zunächst hieß, Erfahrung in einer Tierarztpraxis sei nicht nötig und man würde den/die geeignete Kandidaten/in entsprechend einarbeiten, überlegt, dass es vielleicht doch schlauer wäre, jemanden MIT Erfahrung einzustellen. Die andere Praxis hat mich nach dem Interview noch zu einem halben “Schnuppertag” eingeladen, damit ich mir einen Eindruck darüber verschaffen konnte, wie so der Praxisalltag aussieht – und dann habe ich NIE WIEDER etwas von denen gehört! Meine diversen Bitten um Rückruf sowie diverse Emails blieben unbeantwortet – bis heute! Ein solches Verhalten ist hier leider nicht unüblich, ich habe zig Bewerbungen abgesendet, auf die ich nie auch nur die kleinste Reaktion erhalten habe.

Neben Tierärzten habe ich mich auch bei diversen Chiropraktikern als Assistentin/Rezeptionistin beworden – ich wollte doch unbedingt eine Tätigkeit im medizinischen Bereich finden. In den allermeisten Fällen wurde hierfür allerdings eine gewisse Ausbildung vorausgesetzt – als Registered Nurse (RN) oder Medical Assistant (MA), mit beiden kann ich ja leider nicht aufwarten – aber bei den Chiropraktikern waren die Voraussetzungen in der Regel einfacher zu erfüllen. Aber auch hier waren meine Bemühungen erfolglos, egal, ob ich meine Bewerbungen persönlich abgegeben oder online eingesandt habe – in 99% der Fälle kam überhaupt keine Reaktion und ein- oder zweimal bekam ich immerhin eine Email oder einen Anruf, in dem man mir dann mitteilte, dass man sich für jemand anderen entschieden hätte.

Ende Oktober entdeckte ich dann eine Stellenanzeige von ScribeAmerica, in der “medical scribes” für Des Moines gesucht wurden (www.scribeamerica.com). Ein medical scribe ist eine Art persönlicher Assistent eines Arztes, der bei dem Arzt-Patienten-Gespräch und in den meisten Fällen auch bei den Untersuchungen im Raum anwesend ist und in dem sogenannten EHR (“electronic health record”) alle wesentlichen Informationen des Patienten, Untersuchungsergebnisse, Diagnosen, Medikationen etc. festhält. Immerhin war es also eine Tätigkeit im medizinischen Bereich, wenn auch anders, als ich mir das eigentlich gedacht hatte. Anders als bei meinen anderen geschätzten 100 Bewerbungen bekam ich hier in kürzester Zeit eine Einladung zum Interview und sage und schreibe einen Tag nach dem Interview bereits eine Zusage und ein Jobangebot! Ich war zwar ehrlich gesagt nicht wirklich von der Sache überzeugt, wollte ja viel lieber in einer Tierarztpraxis arbeiten, und weder die Höhe der Bezahlung noch die Lage des Arbeitsplatzes (auf der East Side von Des Moines, ca. 25 km von uns entfernt) waren sonderlich attraktiv, aber es war wenigstens mal ein Lichtblick nach all den Absagen, also habe ich kurzerhand zugesagt.

Zu Beginn der Tätigkeit musste ich erst mal ein recht umfangreiches „virtual classroom training“ absolvieren, in dem ich viele, viele Fachbegriffe gelernt habe sowie Informationen über gängige Erkrankungen, Praxisabläufe, Abrechnungsmodalitäten und alles Mögliche andere bekommen habe. Nach erfolgreich bestandender schriftlicher Abschlussprüfung (die übrigens, wie auch schon der Eingangstest, in einem Starbucks-Café in der Nähe des Flughafens stattgefunden hat!), begann dann im November das sogenannte “floor training”.

Ich wurde also erstmals mit der Realität in der Arztpraxis konfrontiert, was ehrlich gesagt am Anfang ziemlich schockierend war. Nicht nur, dass ich den ganzen Tag stehen musste und kaum Gelegenheit hatte, mal etwas zu trinken oder zur Toilette zu gehen – nein, ich musste natürlich auch alles verstehen, was zwischen Arzt und Patient gesprochen wurde (das ist oft eine echte Herausforderung, denn die überwiegende Mehrheit der Patienten in den beiden Arztpraxen, in denen ich arbeite, sprechen kein Englisch, sondern Spanisch, Nepalesisch oder auch mal Arabisch oder Swahili. Für Spanisch arbeiten fest angestellte Dolmetscher in den Praxen, für alle anderen Sprachen benutzt man einen telefonischen Übersetzerdienst, wo der Dolmetscher via Telefonlautsprecher zwischen Arzt und Patient hin und her übersetzt. Das Englisch speziell der Übersetzer für Nepalesisch ist aber oft so schlecht, dass ich anfänglich große Probleme hatte, überhaupt etwas zu verstehen – und mein Nepalesisch ist leider nicht besonders gut! 😉) und dann auch wissen, was wo einzutragen ist, ggfs. medizinische Fachbegriffe für die laienhaften Ausführungen des Patienten kennen, und das alles “in Echtzeit”, sprich, wenn man den Raum verlassen hat, sollte das Chart fertig sein, da der Arzt ja schon gedanklich beim nächsten Patienten ist, und man in der Regel auch zwischen zwei Patienten nicht wirklich viel Zeit hat, um noch Dinge nachzutragen.  Erschwerend kommt hinzu, dass manche Patienten dem Arzt ja gerne ungefragt ihre halbe Lebensgeschichte erzähle, dafür konkrete Fragen aber nicht oder nur unzureichend beantworten. Man muss also ständig voll konzentriert zuhören und lernen, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden und die Eintragungen im Chart möglichst knapp, aber dennoch präzise zu formulieren.

Na ja, lange Rede, kurzer Sinn – am Anfang hat mir der Job überhaupt keinen Spaß gemacht, ich fühlte mich total überfordert, die Kollegen und Ärzte waren zum Teil auch nicht gerade hilfreich oder überhaupt kommunikativ und ich habe in den ersten paar Wochen wirklich täglich mit dem Gedanken gespielt, die Sache hinzuschmeißen.

Inzwischen habe ich aber immerhin schon die ersten vier Monate “überstanden” und die Situation hat sich wirklich deutlich verbessert – ich verstehe mehr, weiß immer besser, was ich wo eintragen muss, und welcher Arzt welche Vorlieben hat. Das viele Stehen ist natürlich nach wie vor nicht toll, und die Tatsache, dass ich eigentlich überhaupt nicht selbständig arbeiten kann und auch selber gar keine direkte Interaktion mit den Patienten habe, gefällt mir auch nicht sonderlich gut – aber andererseits bin ich doch auch ziemlich stolz auf mich, dass ich überhaupt so lange durchgehalten habe und “meine” Ärzte wohl auch im Großen und Ganzen recht zufrieden mit mir sind – als Nicht-Muttersprachlerin habe ich es ja auch besonders schwer… 😉

Hier mal ein Eindruck von einer der beiden Praxen, in denen ich wechselweise arbeite:

Und das ist “unser” Büro:

Hier haben also alle ihre Schreibtische/Arbeitsplätze, wo sie sich aufhalten, wenn sie nicht gerade mit einem Patienten beschäftigt sind. Wir scribes sitzen dann auch in diesem Raum, das ist so ziemlich die einzige Gelegenheit, überhaupt mal zu sitzen während des Tages, und hier kann man auch seinen Laptop zwischendurch aufladen (wenn denn genügend Ladekabel vorhanden sind – ein Dauerübel, das echt nervt. Die IT hat angeblich den Auftrag bekommen, zusätzliche Ladekabel zu besorgen, aber das scheint irgendwie schwierig zu sein …). 😟 Das Bild ist in der Mittagspause entstanden, in der alle Provider in einem “lunch meeting” saßen.

Ich habe eine Teilzeit-Stelle als scribe und arbeite normalerweise Montags, Mittwochs und Donnerstags. In der Regel ist um 8.00h Arbeitsbeginn (und es gibt natürlich KEINE Gleitzeit!), und da ich eine relativ weite Anfahrt habe und morgens zwischen 7.30h und 8.00h auch im verschlafenen Des Moines ziemlich viel Verkehr auf den Autobahnen herrscht, versuche ich, gegen 7.15h zuhause loszufahren – d.h. für mich “Aufstehen um 6h”, also quasi mitten in der Nacht! 😱 Aber dafür habe ich ja Dienstags und Freitags frei, so lässt es sich dann doch aushalten!

Demnächst gibt’s noch mehr Neuigkeiten aus der Arbeitswelt – Fortsetzung folgt …

 

Print Friendly, PDF & Email

6 Comments

Leave a Reply

Required fields are marked *.